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MST Special

Sommer 2003

Als ich das erste Mal die U-Bahnstation Keleti betrat, war ich auf nichts vorbereitet. Ich war auf der Durchreise und musste nach rund 12 Stunden Fahrt in Budapest umsteigen. Nur ein kurzer Aufenthalt. Mein Anschlusszug fuhr vom Bahnhof Nyugati. Um von Keleti zu diesem zu gelangen, sollte ich laut meiner deutschen Reiseverbindung ein paar Stationen per Metro fahren. Gesagt, getan. Reisetasche über die Schulter, Koffer in die Hand und rauf auf die Rolltreppe Richtung U-Bahn. Während man nach unten rattert, atmet man diesen typischen fettig-modrigen Geruch ein, den man nur aus Großstädten mit alten U-Bahnensystemen kennt. Berlin, Prag, London, NewYork. Hmm… Dreck, warme Zugluft; wenn man in Leipzig wohnt, kommt man zu selten in den Genuss. Vorbei an mehreren Pennern und ziemlich finster dreinschauenden Gestalten. Osteuropa. Ich dachte an die restlichen 14 Stunden die noch vor mir lagen und versuchte dabei nicht wie ein Tourist zu wirken. Auch wusste ich nicht, ob dem hooliganmäßigen Securitypersonal im Notfall zu vertrauen war. Naja, durch da. Vorbei an den Ticketautomaten und einer alten Frau, welche versuchte mir Schmuck zu verkaufen. Drehkreuze oder dergleichen gab es hier nicht, was sich als recht nützlich erwies: ich hatte weder Forint (Ungarische Währung), noch genügend Bargeld um etwas zu tauschen. In der Abfahrtshalle versuchte ich vergebens herauszufinden in welche Richtung ich fahren muss und studierte erst einmal die Pläne. Keine Chance. Ungarisch. Mein DB-Reiseplan machte mich hier auch nicht schlauer. Noch während ich die bunten Linien anstarrte, passierte das, wovon ich eigentlich erzählen möchte: die erste U-Bahn fuhr ein… Woow! Schöne Modelle hatte ich erwartet, aber dass sie Silber waren hatte ich nicht gedacht. Ich musste mir fast die Augen reiben, um zu erkennen, dass ich vor einem Wholecar stand. Links-Rechts noch einer, das war ein verdammter Wholetrain. U-Bahn, Wholetrain - bitte was? So musste das wohl früher in New York gewesen sein. Ich war verwirrt. Gab es so was wirklich noch? Kurz darauf kam auch schon die nächste, direkt hinter mir. Alles Dicht…soweit ich das erkennen konnte schichtenweise Panels übereinander, dahinter Wholecars.

Das glaubt mir zuhause keiner. Ich überlegte kurz, ob ich meinen Fotoapparat rauskramen sollte, besann mich aber meiner wichtigeren Probleme. Da stand ich nun mit meinem Gepäck und begann auf Englisch und Deutsch Leute nach dem Weg zu fragen. Budapest, eine Weltmetropole und keiner will mit mir auf Englisch reden. 20 Leute später habe ich endlich Glück. Eine junge Studentin kann mir endlich meine Info geben. Noch während sie mir erklärt, dass es gar nicht so viele Haltestellen sind, tippt mir ein Mann mit den Worten „Ticket Kontroll“ auf die Schulter. Fuck! Auch das noch. So langsam fange ich an zu schwitzen und mir wird alles zu viel. Scheiß Budapest. Während ich mich als dummer Touri ausgebe und mich mit Englisch und Deutsch zu verständigen versuche, fahren um mich herum schon wieder die nächsten U-Bahnen ein. Wieder alles voll. Ich zeigte dem Kontrolleur meine knapp 4 Euro, die ich einstecken hatte, und hoffte er würde mich verstehen und irgendwie Mitleid bekommen. Er erzählte mir dann irgendwas auf Ungarisch, drehte sich von seinen Kollegen weg und steckte sich das ganze Geld in seine Hosentasche. Er füllte mir einen Pappzettel aus, von dem ich bis heute nicht glaube, dass es ein Fahrschein war, gab ihn mir und ging weg. Während meiner Reise sollte dies nicht der letzte Kontakt mit korrupten Beamten gewesen sein. Egal. Rein in die nächste U-Bahn, umsteigen in die M3 und weiter zum Bahnhof Nyugati. Die ursprüngliche Lackierung der Waggons auf meinen zwei Linien war übrigens blau, wie ich ab und zu sehen konnte. Auf dem Weg zum Bahnhof plagten mich die ersten Gewissensbisse. Fotos machen! Fotos! Das gibt Ärger von Chef Ranuk! Meine Trainpics bekam ich danach am Bahnhof Nyugati, während ich auf meinen zwei Stunden verspäteten Zug wartete. Nur ein paar fürs erste, besser als nichts. Meine Reise sollte noch verrückter weitergehen, aber das ist eine andere Geschichte. Ich entschied mich auf jeden Fall zurückzukommen. Sobald wie möglich…

Sommer 2004

Das halbe Farbsuchtteam auf Dienstreise. Nach meinen Berichten über ein gesprengtes U-Bahnsystem und der Aussicht auf viele Fotos, konnte ich Ranuk überreden, unseren gemeinsamen Fotourlaub in der Ungarischen Hauptstadt zu verbringen. Die Enttäuschung war umso größer, als wir feststellen mussten, dass sich vor Ort viel verändert hat. Die U-Bahn war komplett sauber. Nur ein Jahr später. Alles clean. Wildstyle Schlusssequenz. Es war traurig. Trotz allem hatten wir im Verlauf der kommenden Woche eine Menge Spaß. Nicht nur das es unzählige bemalte Züge zu fotografieren gab, wir lernten auch durch Zufall ein paar Sprüher am Bahnhof kennen, mit denen man sehr gut Bier trinken und feiern konnte. Die Verständigung mit den Jungs war auch kein größeres Problem, da einige von Ihnen Deutsch im Fernsehen gelernt hatten. So zeigten Sie uns ihre Stadt von der schönsten Seite: Clubs, Kneipen und schöne Orte, die wir alleine nicht gefunden hätten. Schöne Frauen und niedrige Bierpreise machten die Tage umso lustiger. Schönes Budapest. Der Urlaub verging schnell und mit vollen Kameras ging es zurück nach Leipzig.

Ein paar Monate später gab uns einer von den Jungs ein kurzes Interview, das es hier nun zu lesen gibt.

Interview


Stell Dich bitte kurz vor.

Evis: Grüß Gott. Meine so genannten Künstlernamen sind SHA und EVIS. Meine Crews sind MST und UGK. Die MST-Crew ist nach einem Graffitibattle im August 2002 entstanden. In der Crew sind außer mir Rouge, Euth, Edyo und Futur. Eine genaue Bedeutung für MST haben wir nicht. MovieStarzTeam oder MaSeraTi vielleicht.

Wie bist Du zu Graffiti gekommen?

Evis: 1994 habe ich angefangen, in der U-Bahn zu taggen. Inspiriert hat mich die gute alte Oldschool. Die U-Bahn Inside Tags haben mich fasziniert, denn damals war alles voll geschrieben und die Buffer waren einfach zu faul. Naja, sie hatten keine Ahnung was eigentlich los ist. 1994 hat Graffiti sehr viele Jugendliche hier bewegt, wobei es relativ wenige waren die aktiv Züge gemalt haben. Mein erstes Piece habe ich dann so 1999 gemalt.

Ihr seid ein lustiger Haufen. Wie sieht es bei Euch in der Crew aus? Macht Ihr auch neben Graffiti viel zusammen?

: Wir machen viel zusammen aber manchmal sehen wir uns auch wochenlang nicht. Alle Crewmitglieder haben ihr eigenes "Privatleben" und eigene Interessen. Trotzdem erleben wir viele verrückte Dinge zusammen.

Man sieht und hört, dass sehr viele "Touristen" nach Budapest kommen um zu sprühen.

: Zum Glück gibt es mehr positive, als negative Erfahrungen. Es gibt Kerle, die fast überhaupt kein Englisch oder Deutsch sprechen können. Sie kommen her um einen Tag zu bleiben und können nur „Metro, Metro“ sagen…ehh. Letztens waren vier Leute aus Brno (Brünn) hier, sie waren sehr freundlich und nett. Leider konnten wir nur eine 10 Minuten lange Action auf nem Zug machen und trotzdem waren sie sehr dankbar. Es ist immer gut neue Leute kennen zu lernen und Action zu machen, aber mir ist es wichtiger, hinterher heil herauszukommen und Spaß zu haben. Es waren schon ziemlich viele Leute aus dem Ausland hier; ich will keine Künstler (-namen) nennen, aber es gibt mehrere, die jährlich zurückkommen. Sie sagen, sie lieben Budapest und die Leute hier. Wir haben z.B. gute Freunde in Tschechien, Deutschland, Österreich, Slowakei und Kroatien.

Was sind die aktuellen Entwicklungen in der ungarischen Szene?

: Ich denke die Szene zerfällt gerade. Es gibt viele Meinungsunterschiede und fast alle Writer sind zu eigensinnig, um die Welt mal objektiv zu sehen. Manche Sprüher mögen wir nicht, mit anderen haben wir guten Kontakt. Aber es ändert sich immer. Heute malen aktiv ca. 20 Leute in Budapest, auf dem Land sind es mehr. Es gibt ein Geschäft wo man sich mit anderen Sprühern treffen kann, aber regelmäßige Treffen sind eher selten.

Erzähl uns was über das U-Bahn Writing in Budapest.

: Der erste Stuff wurde 1994 auf der roten Linie (M2) gemalt. Bis 1998 sind nicht so viele Metros gemalt worden, aber danach hat die blaue Linie (M3) die Hauptrolle übernommen.. Die härteste Zeit war aber von 2000 bis 2003. Es gab eine Menge Tunnel-, Hangar- und Backjumpactions. Man konnte 5 Jahre alte Bilder fahren sehen! Fast alle Züge auf der blauen Linie waren Wholecar End-to-End! Heute sieht die Situation anders aus. Alles ist sauber, überall Sensoren, Kameras und Security. Und wenn man trotzdem etwas malen kann, dann fährt das Piece nur eine halbe Stunde lang.

Was ist das für ein Gefühl, seine Trains nach 2 Jahren noch fahren zu sehen?

: Wie einen alten Bekannten zu treffen… das Piece zu sehen, bedeutet die ganze Action noch einmal zu erleben. Man kann sich an sehr viele Dinge erinnern und es ist interessant zu sehen, wie das Bild verschleißt. Aber heute ist es wie gesagt anders, es gibt mehrere Buffs und man sieht so alte Bilder eher selten.

Straßenbombing ist bei Euch ja offensichtlich weniger beliebt als zum Beispiel in Deutschland.

: Ich denke es liegt daran, dass um Mitternacht sehr viele Fußgänger und Polizisten auf den Straßen sind.

Budapest ist eine wunderschöne Stadt. Was magst Du hier besonders?

: Es gibt hier die schönsten Frauen auf der Welt. Nur Göttinnen!

Gibt es in anderen Städten Ungarns ähnlich aktive Writerszenen?

: Ja, es gibt viele Crews und Writer vom Land, und die malen meistens auch nur dort. Deshalb denke ich, dass Budapest auch in Zukunft dominant bleiben wird. Trotzdem denke ich nicht, das Budapest einen eigenen Style hat. Bei uns in der Crew malen auch alle Leute anders. Unser eigener Style formt sich noch.

Wie sieht es aus mit Trips in andere Länder? Was hast Du bisher so erlebt?

: Letztes war ich in Kroatien. Es war sehr fein da, obwohl es dort sehr wenige Züge gibt. Trotzdem haben wir in einer Nacht zwei Süße in verschiedenen Dörfern gemalt. Außerdem habe ich viele Geschichten in Prag erlebt. Fast alle Aktionen dort waren crazy. Trotzdem mag ich die Stadt und die Writer dort sehr. Ich hab in Prag gesehen, dass alle sehr darauf aus sind, ihren eigenen Style zu machen. Und fast alle haben auch sehr gute Ideen. In Deutschland war ich auch schon.

Danke für das Interview…

: Für mehr Ungarnstuff checkt die Videos "Sick Business" 1 und 2 oder die Magazine "Sick Business" 1-3 und "Harmlessmag".

Anfang 2007.

: Wie es heute in Budapest aussieht muss man selbst herausfinden. Die U-Bahn wird höchstwahrscheinlich sauber, und die Kontrolleure wohl immer noch dieselben sein. Wer trotzdem bemalte Subways rollen sehen will, sollte so schnell wie möglich nach Rom, Bukarest oder Amsterdam fahren. Es lohnt sich wirklich und keiner weiß wie lange Ihr noch die Chance habt so etwas zu erleben. Und vergesst bitte nicht eure Kameras :)
hu

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Links

U-Bahn Budapest, Wikipedia Metro Budapest Metro Budapest #2 Harmless Mag
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